Sam war, so gesehen, mein erster Hund, den ich an der Leine führen durfte. Wie auch die verstorbene Shila [Adelhaid & Selma], so ist auch er schon längst über die Regenbogenbrücke gegangen, leider viel zu früh, und noch ehe ich überhaupt Shila kennenlernen durfte.
Um das zeitlich etwas einzusortieren: Es war ein Februar im Jahre 2000 als ich Sam, auch liebevoll "Sammy" genannt, erstmals sah und ein April im Jahre 2001 als ich Shila kennenlernen durfte.
Die beiden Begegnungen hatten drei Umstände gemeinsam. Sie waren stürmisch und laut. Beide Hunde kamen so äußerst schnell auf mich zu, dass ich in den jeweiligen Situationen davon ausging, sie würden mich ungespitzt und zügellos in den Boden rammen bzw. sprichwörtlich von den Füßen holen. Dennoch bestand die dritte Gemeinsamkeit darin, dass sie, so wild und laut sie mit welchem Geistesblitz auch immer (bestückt) auf mich Anlauf nahmen, doch noch abrupt (davor) abstoppten, ehe es um mich geschehen gewesen wäre.
Und wenn ich mich so weiter erinnere, war bei beiden "Erstkontakten" stets eine weitere Person mit im Spiel. Bei Sam begleitete mich meine damalige LAG und bei Shila ein alter Freund, der nur zu gerne mal Adelhaid hätte "sitten" wollen.
Vielleicht war ich somit gar nicht der Grund, weswegen die Hunde derart "aufdrehten2, aber - spinne ich diesen Gedanken fort - eben doch ein Grund warum sie kurz vor ihrem Ziel die Bremse betätigten. Das wiederum ist selbstredend, wenn auch schreibend, reine Spekulation.
Sam zumindest war ein Golden Retriever, der Haus und Hof bis aufs Blut verteidigt hätte, wenn man es einmal aus der Sicht eines oberflächlichen Besuchers sieht, der nicht alle Tage vorbeischaut. Anders gesagt war er der bellfreudigste Hund dieser Rasse, den ich bis heute kennenlernen durfte; allerdings auch der liebenswertes.
Ich weiß gar nicht mehr genau wie alt er einst war, ich habe jedoch die Jahreszahl von 5 im Hinterkopf. Und, überaus bedauerlicherweise, wurde er auch nicht älter als ein halbes Dutzend an Jahren.
Dazwischen war es an mir mit ihm etwas "wärmer" zu werden, was mir jeweils vor und nach der Arbeit - und machnmal auch in der Mittagspause - möglich war/wurde. Mein damaliger Brötchengeber war keine 50 Meter entfernt, und wenn Sam nicht meinen Vermieter als Herrchen gehabt hätte, so wäre er vermutlich auch mein (treuer) Begleiter zum und vor allem Arbeitsplatz geworden.
Es waren damals durchweg andere Zeiten, und so war es überhaupt kein Problem das geliebte Haustier ins Büro mitzunehmen. Auf der anderen Seite passierte es schon öfters als es mir lieb war, dass der werte Sam bei uns auf dem Firmengelände vorbeischaute. Wenn ihm der Sohn meines Vermieters nicht nach Haus beorderte, so tat ich es seinerzeit ohne Leckerlis per Kommando, wie es mir aufgebracht wurde. Hätte ich es nicht getan, so wäre er mir immer aus dem Haus und dem Hof gefolgt, hinein in den anderen [Firmenhof] und mit Sicherheit sogar mit in meine ersten vier Wände, was komplett verboten war [ich hatte Teppichboden...], mir allemal aber einerlei war.
Das tat er auch gerade deswegen, weil er nicht jeden Tag mit in die Stube durfte. Sein Schlafplatz war in der Regel der (Haus-)Flur. Zwar stand bei mir die Tür im 2. Obergeschoss nicht offen, dennoch öffnete ich sie für ihn so gut wie immer, wenn er danach verlangte. Das waren die wenigen Augenblicke, wo er nicht bellte, denn er wusste, dass das nicht gerne innerhalb des Gebäudes vernommen werden wollte. Er machte sich daher mit einem Kratzen und ein wenig Jaulen bei mir bemerkbar. Weil der andere Sohn des Vermieters seine Wohnung direkt neben meiner hatte, war unser Zusammensein nur dann möglich, wenn dieser nicht da war (oder mit seiner Freundin, die einem Beatle fuhr, "zugange" war). Lediglich am Samstagnachmittag war ich für ihn komplett abgeschrieben, weil er mit seinem Herrchen da stets die Live-Übertragungen der Fußballspiele ansah. Der Ton des Fernsehapparates war damals so laut eingestellt, dass ich, ein Stockwerk höher, unweigerlich alles mitbekam, so auch bspw. die begleitenden, frenetischen Rufe und dergleichen, begleitet mit einem darauffolgend lebensbejahenden Bellen und Aufheulen. Wer Hund oder Halter war, beschlich mich nicht, denn es war merklich kaum ein Unterschied herauszuhören.
Sam war also - nicht nur ein Fußball-Narr, sondern auch - ein richtiger Eigenbrötler und folglich auch jemand, der gerne und oft alleine die Gegend um sein abgestecktes Territorium erkundete. Sobald sich die Haustür öffnete war er draußen und auf "Markierungsgang". Ich hatte irgendwie den Eindruck gewonnen, dass das auch niemand groß störte. Ich, wenn überhaupt möglich, achtete darauf, dass er eben nicht sich heimlich hinfort schlich.
Ein halbes Jahr lebte ich dort. Die Aufgabe der Wohnung fiel mir weniger schwer als das Hinterlassen des Alleingängers Sam. Aber nachdem ich meine Ausbildung beendet hatte und Geld kein Thema mehr war, folgte ich meinem inneren Drang wieder zurück in die Stadt zu gehen, wo ich einst einen Teil meiner Kindheit bei den Großeltern verbrachte.
Ich dachte mir damals, ich würde ihn eh fast jeden Tag besuchen können oder zumindest sehen. Leider war ich da einem Irrglauben aufgesessen.
Bis heute bereue ich es zutiefst, dass ich hier nicht von mir aus den Weg gesucht hatte den täglichen Kontakt zu Sam zu suchen.
So verstrich ein halbes Jahr und ich sah Sam mindestens ein mal in der Woche, brachte ihn auch ab und an zurück nach Hause - wie in guten "alten Zeiten" (eben) -, wenn auch etwas wehmütig, wie ich mir heute eingestehen kann.
Wenn ich meine damalige Vergangenheit von außen wie ein Fremder betrachte, dann fällt es mir leichter nachzuvollziehen, dass ich andere Dinge als den "Schlawiner" Sam im Kopf hatte. Beziehungsprobleme und die Verantwortung auf der Arbeitsstelle machten mich zeitweise zu einem kleinen Bioroboter, der nicht im Stande dazu war über andere Dinge als seine kleinen weltlichen Problemchen nachzudenken.
Auch als ich Sam mal zwei Wochen am Stück nicht antraf, kamen noch keine Überlegungen in Hinblick auf sein Wohlergehen in mir hoch.
Erst in der dritten Woche fragte ich den Sohn meines Vermieters beiläufig wo den Sammy steckte. Die Antwort lies ein Kopfkino in mir losgehen, und ich war an diesem Tag wohl nicht mehr bei mir.
Auf einen seinen Alleingängen (mutmaßlich zu einer läufigen Hündin) überquerte er die naheliegenden Bahnschienen direkt neben meiner Arbeitsstelle. Bedauerlicherweise zu einem falschen Zeitpunkt. Die Schranke war verschlossen und der Regionalexpress rauschte durch das kleine Örtchen ohne Halt zu machen. Sam wurde erwischt. Weitaus schlimmer war: ich erfuhr es erst drei ganze Wochen danach.
Dieses Botschaft durchbohrte mein Herz und ich wollte mit Hunden eigentlich nichts mehr zu tun haben. Wochenlang ließen mich die Bilder von einer Gegebenheit, die ich gar nicht erlebt hatte, nicht in Ruhe.
Ebenfalls wie das schlechte Gewissen, dass in mir aufkam. Und wenn mir eines klar wurde, dann dass die Verantwortung einen Hund zu halten eine solche ist, die mit dem Welpenalter beginnt und bis zum Ableben des Vierbeiners bestand hält.
Vielleicht lassen ihn aber diese paar schlichten Erinnerungen (von mir) in meinem und - vor allem - den Herzen der ehemaligen Besitzer weiterleben.
Wenn Qualität vor Quantität geht, hatte Sam das schönste Hundeleben, solange (oder so kurz) er unter uns (allen) physisch weilte. Denn welcher Hund kann heute (noch) selbst (für sich) entscheiden, wann es Zeit wird eine Runde um den Block zu drehen?